Sonntag, 15. September 2013

HALB ALP - HALB ANGST 6

Ein Moment der Ruhe in dem Trubel der Anderen, der Wochenendler, sie stürmen die Ebene mit Kamera und Schnaps, sie hängen sich zwischen Kuhglocken, werfen mit Wanderschuhen um sich. Ihre Köpfe sind hochrot und sie brauchen unbedingt mehr „Kafi fertig“, die zierlichen Künstler sind überall im Weg und bauen Dinge, von denen niemand weiss, was sie sollen. Unzimperlich greift man ihnen ins viel zu lange Haar und zwingt sie, einen anzublicken. Die Eidgenossen, die Wahrhaftigen, mit dem nötigen Brustumfang, sich solche zu nennen bemerken, dass die ihnen liebe Flagge fehlt und stattdessen etwas Kaputtes dort hängt. Gut möglich, dass das diese Schar zartbesaiteter Irritanten war, die hier überall hinter ihren Macbooks sitzt und den ganzen Billiardtisch versperrt. Als sie dann noch beginnen, grosses Audiogerät zum Fahnenmasten zu schleppen, ist der Verdacht erhärtet. Man testet sie sofort auf Herz und Nieren, aber wie die meisten Städter scheinen sie gar keine Organe zu besitzen und trinken immer zu nur Fencheltee. Daher kommt wohl auch der Drang, Kunst zu veranstalten, ein Lied davon zu singen und all das, was immer mit viel Erklärung verbunden ist. Klar, klar im Kopf muss man werden. Das ist für alle gleich wichtig. Die Alpluft tut uns allen gleich gut. Sie steht auch nicht zum Verkauf, jeder darf sie einfach durch seine Nasenlöcher einsaugen und wenn er genug davon hat, mit der letzten Seilbahn wieder ins Tal fahren. Als du gerade an deiner Reflexion herumschraubst, tippt dir einer ans Gehirn. Du, hier? Ja, du auch? Du blickst in den Spiegel und unterhältst dich selbst, du tust erstaunt, als ob du nicht gewusst hättest, dass du hier bist und dir ist da definitiv eine Überraschung gelungen. „Denen, die den Boden seiner Löcher berauben, blüht eine unschöne Zukunft!“, sagt man hier in der Sprache der Eingeborenen, du schaust in die Versenkung und in deine zwei Augen hinein, sie sind noch nicht auf Bodenhöhe, der Boden nicht auf Augenhöhe, es besteht also vorerst keine Gefahr für dich und deine Zukunft. Ein Golfball trifft dich hart am Schädel und gleich darauf die Einsicht. Die, die du für Eingeborene gehalten hast, sind Engländer und es könnte sein, dass deine übereifrigen Urteile deine Zukunft nun doch bedrohen. Lückenlosigkeit hin oder her. Aber ich will doch so sehr, dass es nicht so ist, jammerst du laut. Der Berg ächzt unter den Menschen, die ihn auf alle möglichen Arten besteigen. Das Tal gähnt über die Hornusser, Künstler und Engländer hinweg. Die Zukunft ist den beiden genau so breit wie lang, die 2000 Meterlinie trennt sie von den geografischen Koordinaten unserer Sorgen. 

Sarah Elan Müller

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